Für und Wider: Schwerbehindertenausweis bei Diabetes mellitus?
«Ich und behindert? Ganz sicher nicht!», werden wohl die meisten Menschen mit Diabetes sagen. Aber dennoch: Eine chronische Erkrankung wie Diabetes mellitus ist eine stete Beeinträchtigung. Und so zählt auch der Diabetes zu den Erkrankungen, die die Feststellung einer Behinderung im rechtlichen Sinne nach § 2 Sozialgesetzbuch IX ermöglichen. Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, Nachteile im beruflichen und sozialen Leben auszugleichen. Eine anerkannte Behinderung geht beispielsweise einher mit einem besonderen Kündigungsschutz im Job, zusätzlichen Urlaubstagen und einem höheren Steuerfreibetrag.
Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille: Für jugendliche Diabetiker, die auf Arbeitsplatzsuche sind oder am Anfang ihres Berufslebens stehen, kann eine nachgewiesene Schwerbehinderung zu Benachteiligungen führen. Der erhöhte Kündigungsschutz bringt erst dann etwas, wenn man einen Arbeitsplatz hat. Bei vielen Versicherungen wird mittlerweile nach festgestellten Behinderungen gefragt; dies muss wahrheitsgemäß beantwortet werden. Und schließlich kann ein Schwerbehindertenausweis auch zu Minderwertigkeitskomplexen oder anderen Persönlichkeitsproblemen führen.
Wer sich aber nach sorgfältigem Abwägen für die offizielle Anerkennung seines Diabetes als Behinderung und für einen Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis entscheidet, sollte ein paar Punkte beachten. Denn Fehler bei der Antragsstellung können zur Ablehnung führen oder das Verfahren erheblich in die Länge ziehen.
Einen Schwerbehindertenausweis beantragen
Ein Schwerbehindertenausweis wird auf Antrag beim örtlich zuständigen Versorgungsamt ausgestellt. Dieses Amt entscheidet auch über den sogenannten Grad der Behinderung, den GdB. Eine Behinderung wird nicht pauschal festgestellt. Vielmehr wird über den Grad der Behinderung (GdB) für jeden Antragsteller individuell entschieden. Er gilt als Maß für die sozialen Auswirkungen und Beeinträchtigungen. Die GdB Skala reicht von 0 bis 100. Ab einem GdB von 50 spricht man von einer Schwerbehinderung.
Einen Antrag auf die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises bzw. auf Festlegung des Grades der Behinderung können sowohl Menschen mit Typ-1- als auch mit Typ-2-Diabetes stellen. Entscheidend ist der Grad aller vorliegenden Beeinträchtigungen, wobei die einzelnen Beeinträchtigungen nicht einfach addiert werden können.
Maßgeblich für die Feststellung des Grades der Behinderung sind die versorgungsmedizinischen Grundsätze aus der Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung. Ein GdB von 50 kann festgestellt werden bei „an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind […]. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (bzw. Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung; Teil B, Nr. 15.1).“
Soweit so trocken – und für die Praxis ist der Text auch etwas irreführend.
Erhebliche Beeinträchtigungen durch den Diabetes
Oft wird angenommen, es reiche der bloße Aufwand für eine intensivierte Insulintherapie (ICT) oder Pumpentherapie für eine Anerkennung. Das stimmt allerdings nicht. Es muss außerdem immer zusätzlich eine „erhebliche Teilhabebeeinträchtigung“ vorliegen. Die kann durch unmittelbare körperliche Auswirkungen gegeben sein, aber auch psychische Belastungen oder der mit der Krankheit verbundene Therapieaufwand kann erheblich einschränken. Also beispielsweise der Zeitaufwand für Nahrungsberechnung- und Zubereitung, für häufige Arztbesuche oder bei Kindern eine erforderliche Begleitung für Kindergarten und Schule.
Zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises beim Versorgungsamt sollte all dies ausführlich begründet und dokumentiert werden.
Unterlagen für den Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis
- Antrag auf Schwerbehinderung mit umfassenden Angaben zu allen Krankheiten und Beeinträchtigungen sowie zu den behandelnden Ärzten, Krankenhäusern etc. Dort fordert das Versorgungsamt aktuelle Befunde an. (Formular erhältlich beim Amt für Soziale Angelegenheiten, dem Versorgungsamt oder online einfach-teilhaben.de)
- Eventuell ein Facharztgutachten, wenn das Versorgungsamt dies verlangt.
- Dokumentation der Diabetestherapie mit Angabe der Blutzuckermessungen und Insulingaben, am besten digital (Software z. B. von Diabass).
- Ausführliche Begründung, warum der Diabetes Einschränkungen und Einschnitte in der Lebensführung bedeutet. Ausführliche Checklisten, was alles unter Therapieaufwand, psychische und körperliche Auswirkungen fallen könnte, die die erhebliche Belastung belegen, finden Sie beispielsweise auf den Seiten der Deutschen Diabetes Gesellschaft unter diabetesde.org/system/files/documents/schwerbehindertenausweis_broschuere_2020_final.pdf