Resilienz – Kraftquellen aktivieren, um Krisen zu meistern
Mit Stressoren entspannter umgehen und mit dem Diabetes besser leben – manchen scheint es in die Wiege gelegt, die anderen können es lernen.
Stress bei der Arbeit und in der Schule, Stress in der Beziehung oder Familie, Stress durch Termine, soziale Medien und Freizeit… oder aber ausgelöst durch die Diagnose und den Umgang mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes. Wir alle kennen Stress, aber jeder von uns geht anders damit um. Obgleich Stress häufig als eine von außen kommende Belastung angesehen wird, ist man dieser meist nicht hilflos ausgeliefert.
Manche Menschen schaffen es, das Leben mit Diabetes gelassen zu nehmen, und integrieren ihren chronischen „Begleiter“ gut in den Alltag. Andere tun sich schwer, die Diagnose überhaupt zu akzeptieren, haben Schwierigkeiten, die Therapie zielführend umzusetzen, fühlen sich gestresst und hadern immer wieder mit ihrem absolut ungebetenen und unerwünschten „Gepäck“.
warum ist das so ?
Dr. Isabella Helmreich zufolge kommen hier sehr viele individuelle Faktoren ins Spiel. Ein bisschen habe es auch damit zu tun, wie man „vom Leben ausgestattet“ sei, so die Expertin für Gesundheitsprävention mit Schwerpunkt Resilienz-Förderung. Genetische Faktoren, das familiäre und soziale Umfeld in der Kindheit: „Wie ist jemand aufgewachsen, was wurde ihm mitgegeben? All das spielt eine Rolle“, sagt Dr. Helmreich, die den Bereich „Resilienz & Gesellschaft“ am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz leitet. Resilienz sei aber auch ein Zusammenspiel von internen und externen Faktoren: „Wie geht meine Umwelt mit meinem Diabetes um? Erhalte ich Unterstützung und kann ich das Thema gut in meinen Alltag integrieren? Im Job, in der Freizeit, in Bezug auf meine Hobbies? Und ganz wichtig ist auch: Wie nutze ich meine verfügbaren Ressourcen?“
Darum gehe es auch in der Resilienz-Förderung: „Man schaut, welche Ressourcen vorhanden sind und welche bereits gut genutzt werden. Aber auch: Welche sind vielleicht da, müssen aber erst noch angezapft werden? Habe ich vielleicht ein gutes soziales Netzwerk, traue mich aber nicht, um Hilfe zu fragen? Hier muss man schauen, was es zu stärken gilt und was genutzt werden kann, um dabei zu unterstützen, gut mit dem Diabetes klarzukommen.“
Akzeptanz und Unterstützung
Um resilient mit dem Diabetes umgehen zu können, so Isabella Helmreich, ist der erste Schritt, diesen anzunehmen. „Die Arbeit an der Krankheitsakzeptanz ist etwas, das in der Psychotherapie ganz wichtig ist. Für manche kann das eine große Hürde sein, die zur Überwindung Zeit und Arbeit erfordert. Niemand findet es schön, Diabetes zu haben, und wir haben ja oft dieses Bild vom ‚Diabetes-Monster‘, gegen das viele zu kämpfen versuchen: Es soll weg und uns in Ruhe lassen. Doch statt dagegen anzukämpfen, sollte man es – bildlich gesprochen – besser in einen Wagen setzen oder in einen Rucksack packen, den man hinter sich herzieht oder mit sich herumträgt. Es ist dann zwar immer dabei und kann belasten, weil der Wagen einschränkt oder der Rucksack lästig ist, aber man akzeptiert, das es jetzt zu einem gehört, und versucht, es so gut wie möglich zu integrieren.
Gelingt dies nicht aus eigener Kraft, ist es wichtig, sich das einzugestehen, und man darf und sollte sich Unterstützung von außen holen.“ Auch kann es sehr hilfreich sein, sich mit anderen auszutauschen, sagt Dr. Helmreich. Zu schauen, wie machen es die anderen? Was ist alles möglich, obwohl der Diabetes im Rucksack ist? Viele Menschen mit Diabetes bloggen darüber oder es gibt Foren und die Möglichkeit, andere Menschen mit Diabetes im Rahmen einer Selbsthilfegruppe zu treffen und sich inspirieren zu lassen. Was jeder und jede für sich in dieser Lebensphase braucht und was gut tut, ist sehr unterschiedlich.
„Während der Austausch über soziale Medien für viele Leute segensreiche Unterstützung bietet, fühlen sich andere manchmal auch überfordert“, sagt die Expertin. Auch hier kommt es auf die Dosis und Qualität an: Es ist gut, sich auch im Internet über vertrauenswürdige Quellen zur Erkrankung zu informieren und auszutauschen. Es darf aber auch nicht überhandnehmen und nur noch das Leben bestimmen. „Es ist ja zunehmend ein Problem, dass wir es gar nicht mehr schaffen, in die Phase der Entspannung und des Abschaltens zu kommen. Manche fühlen sich vielleicht auch überfordert, wenn es von unterschiedlichen Seiten im Netz naturgemäß auch unterschiedliche Erfahrungen und Tipps gibt. Zudem ist es wichtig, auch immer die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Seiten im Blick zu behalten.“
Resilienz-Training
Selbst wenn man nicht von Natur aus zu jenen Menschen gehört, die – wie man häufig sagt – „hart im Nehmen“ sind und trotz widriger Umstände immer wieder schnell aufstehen: „Resilienz“, sagt Isabella Helmreich, „lässt sich auch trainieren.“ Aber wie? Wie hilft man Menschen mit Diabetes, selbstwirksamer zu werden? Die Psychotherapeutin verwendet zur Erklärung ein Bild: „Man kann es sich vorstellen wie einen Blumenstrauß, in dem einzelne Blumen bestimmte Ressourcen beziehungsweise Resilienz- Faktoren darstellen. Welche sind vorhanden, welche sind sichtbar, welche versteckt und welche gilt es, hinzuzufügen? Bei manchen ist das Netzwerk da, aber sie trauen sich nicht, um Unterstützung zu bitten, oder schämen sich, über den Diabetes zu sprechen. Diese Blumen zieht man dann etwas mehr nach oben. Es geht darum, zu lernen, dass man Hilfe annehmen darf und nicht alles alleine schaffen muss. Fehlt es möglicherweise noch an Wissen zum Diabetes? Dann gilt es, dieses Wissen zu vermitteln – sprich neue Blumen hinzuzufügen.“
wie funktioniert das training ?
Am Leibniz-Institut in Mainz gibt es die Möglichkeit, online oder vor Ort an Resilienz- Trainings teilzunehmen. Angeboten werden unterschiedliche Formate: So gibt es beispielsweise ein 8-Wochen-Training, das einmal wöchentlich stattfindet und jeweils 90 Minuten dauert. Im Vorfeld erfolgt zunächst eine Art Resilienz-Screening: Wo sind meine Stärken, woran hapert es? Man sucht sich dann ein eigenes Resilienz-Projekt für eine schwierige persönliche Situation, an der man etwas verändern will. Im Verlauf des Trainings lernt man die einzelnen Resilienz- Faktoren kennen und kann gemeinsam überlegen, wie sich diese für die eigene Problemstellung nutzen lassen. Das Ganze findet in Kleingruppen statt, die Gruppe fungiert hier als Unterstützung, man motiviert sich gegenseitig. Es gibt auch ein Kompakttraining, das freitags und samstags stattfindet – sowohl vor Ort als auch online. Jeder hat sein eigenes Projekt, Teilnehmende sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen und Erkrankungen. Die Trainings sind von der ZPP (Zentrale Prüfstelle Prävention) zertifiziert, sodass man bei der Krankenkasse eine Kostenerstattung beantragen kann.
resilienz-training ist keine psychotherapie
Mitunter kann die Diagnose Diabetes zum Beispiel auch der Auslöser für eine Depression oder Angststörung sein, die vielleicht zuvor bereits in einem schlummerte. „Besteht der Verdacht, dass eine psychische Erkrankung vorliegt, dann würden wir die Menschen in jedem Fall weiter verweisen“, sagt Isabella Helmreich. „Das kann im Resilienz- Training in der Gruppe nicht aufgefangen werden.“ Weil man auf einen Therapieplatz häufig warten müsse, sieht die Therapeutin auch in den DiGAs eine gute Option. „Um die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken, finde ich geprüfte Online-Trainings, wie es sie im Rahmen der DiGAs gibt, extrem hilfreich.“
resilienz bedeutet nicht abstumpfung
Wichtig ist es Isabella Helmreich, darauf hinzuweisen, dass trotz guter Resilienz nicht alles bewältigt werden kann. „Der Mensch wird ja dadurch nicht zu einer Art Teflonpfanne, an der alles abprallt.“ Es ist völlig normal, dass das Leben mit Diabetes auch mal frustrierend sein kann. Dass man wütend ist oder auch depressive Phasen erlebt. Das gehört zum Leben dazu. Es ist dann von Bedeutung, sich Unterstützung zu holen, um wieder aus dem Tief herauszukommen. Darüber hinaus könne und solle es mit zunehmender Resilienz auch dazu kommen, dass man lernt, Grenzen zu setzen – auch mal „Nein“ sagt. Es sei auch Teil der Selbstfürsorge, gut auf sich zu achten und es vielleicht nicht immer allen recht machen zu müssen. Manchmal könne ein Netzwerk- Check hilfreich sein: Wer tut mir gut, wer tut mir weniger gut? „Man muss ja niemanden aus seinem Netz rauswerfen, aber vielleicht ist es gut, die Zeit mit manchen Menschen etwas einzuschränken.“
resilienz verbessert den umgang mit der diabetes-therapie
Resilienz dient nicht nur dazu, besser mit einer neuen Situation umzugehen, sie ist auch ein Präventionsansatz. Denn wer mit seinem Diabetes hadert und aufgrund dessen auch psychische Probleme hat, wird zwangsläufig Einbußen in der Lebensqualität spüren, was wiederum dazu führen kann, dass es zu einer geringeren Therapieadhärenz kommt. In einem aktuellen Positionspapier der Wiener Klinischen Wochenschrift heißt es dazu: „Die Anforderungen und Belastungen, die die Erkrankung Diabetes mellitus durch das erforderliche Selbstmanagement mit sich bringt, werden individuell unterschiedlich erlebt und bewertet und können zu einer erheblichen kognitiven und emotionalen Stressbelastung mit psychischer Beeinträchtigung führen. Das Auftreten von ´diabetes distress‘ (´Diabetes- spezifischer Stress‘) wird bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes beschrieben. (…) Da negative Auswirkungen auf HbA1c , Selbsteffektivität, Lebensqualität und Therapieadhärenz beschrieben werden, ist einerseits die Diagnostik wichtig, andererseits zeitnah zur Diagnosestellung die Teilnahme an einer Diabetesschulung erforderlich. In dieser Schulung soll der Umgang mit körperlichen, psychischen und sozialen Anforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen, erlernt werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Patient oder die Patientin über ausreichende personelle, soziale und ökonomische Ressourcen verfügt und diese auch nutzen kann. Ein bestimmtes Ausmaß an individueller Stressresilienz ist erforderlich, um den eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung praktizieren zu können.“1
fazit
Wir alle verfügen über eine Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen, doch mitunter gelingt es uns nicht, diese anzuzapfen. Je nach Situation kann es sogar schwerfallen, sie überhaupt zu erkennen. Die Summe dieser Ressourcen und die Fähigkeit, diese insbesondere in schwierigen Situationen zu nutzen – das ist Resilienz.
RESILIENZ – VERSTEHEN, TRAINIEREN, PROFITIEREN
Resilienz (von lat. resilire „zurückspringen“, „abprallen“) könnte übersetzt werden mit psychischer Widerstandsfähigkeit: die Fähigkeit, Krisen durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu bewältigen. Quelle und weitere Infos unter www.resilienz-akademie.com und www.herder.de. Menschen, die mit Stressoren besser umgehen können als andere, hat es schon immer gegeben. Weil sie in der Lage sind, flexibel mit Stress umzugehen, können sie Krisen besser meistern und gehen mitunter sogar stärker aus diesen hervor. Der Begriff für diese Fähigkeit jedoch wurde erst in den 1950ern vom Psychologie-Professor Jacob Block eingeführt, der in einer Langzeitstudie zur Persönlichkeitsentwicklung zum ersten Mal die Fähigkeit zur Resilienz bei Kleinkindern feststellte.
Die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens Resilienz ist noch recht jung, besonders großen Einfluss hat bis heute vor allem die von Aaron Antonovsky begründete „Salutogenese“. Mit Salutogenese wird die Entstehung von Gesundheit – als Gegenbild zur Pathogenese, der Entstehung von Krankheit – bezeichnet. Der amerikanisch-israelische Soziologe ging der Frage nach, wie Gesundheit entsteht. Statt also nach den Ursachen für Krankheit zu fragen, wollte er wissen, was Menschen gesund mache. Als wichtigsten Faktor für die Entstehung von Gesundheit, die übrigens immer als Prozess und nicht als Zustand zu verstehen sei, nannte Antonowsky das Kohärenzgefühl.
Es beschreibt das Gefühl, sich innerlich und äußerlich gehalten zu fühlen und sich selbst innerlich und äußerlich Halt verschaffen zu können. Wesentlich sind drei Aspekte:
- Das Gefühl der Verstehbarkeit: Die Fähigkeit, dass man die Zusammenhänge des Lebens versteht.
- Das Gefühl der Handhabbarkeit: Die Überzeugung, dass man das eigene Leben gestalten kann.
- Das Gefühl der Sinnhaftigkeit: Der Glaube, dass das Leben einen Sinn hat.
Nach dem Salutogenese- Modell ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen.
1 Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10133031