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Die Zahlen sind alarmierend: Nach den Ergebnissen der im vergangenen Jahr publizierten AMBA-Studie, die die Auswirkungen von Typ-1-Diabetes auf die psychische Gesundheit und Berufstätigkeit von Müttern untersuchte, bezeichneten sich 62 Prozent der Mütter, 42 Prozent der Väter, 47 Prozent der Diabetes-Kinder und 20 Prozent der Geschwisterkinder infolge der Erkrankung als psychisch hoch oder sehr hoch belastet. Ärzte warnen davor, dass Eltern durch jahrelange Überforderung schleichend in eine Depression abrutschen könnten. Eine kontinuierliche Überwachung der Werte wird dann häufig schwierig. Deshalb ist es wichtig, die ersten Alarmzeichen zu erkennen und den Eltern zur Seite zu stehen, bevor sich handfeste Krisen abzeichnen.
Keine leichte Aufgabe
Die Diagnose Diabetes ist fast immer ein Einschnitt. Es macht etwas mit der Eltern-Kind-Beziehung, wenn mehrmals täglich kontrolliert, gemessen und gepikst wird, 365 Tage im Jahr, auch nachts und im Urlaub, häufig gegen den Willen des Kindes. Schuldgefühle, Aggressionen und Ängste können entstehen. Wohin damit? Wenn die Eltern nach der ersten medizinischen Schulung in der Kinderklinik in den Alltag entlassen werden, fühlen sich viele nicht ausreichend vorbereitet. Eine kontinuierliche Begleitung durch Diabetesberater, Psychologen und Ernährungsberater, so ein Ergebnis der Studie, findet in der Praxis kaum statt. Zugleich lastet auf den Eltern ein immenser Druck: Den Diabetes so gut wie möglich in den Griff zu bekommen, gleichzeitig die seelische und kognitive Entwicklung ihres Kindes zu fördern und ihm emotional so viel Stabilität zu geben, dass es allmählich lernt, nach und nach die Verantwortung für den Diabetes zu übernehmen – keine leichte Aufgabe.
Wie gehen andere damit um?
In der ersten Zeit nach der Diagnose, wenn der Bedarf nach Informationen und Orientierung besonders groß ist, kann es hilfreich sein, den Kontakt zu Gleichgesinnten zu suchen. Die Initiative Diabetes-Kids, vor rund 20 Jahren von Michael Bertsch – selbst Vater eines Kindes mit Typ-1-Diabetes – gegründet, bietet Eltern und Kindern in ähnlichen Situationen Unterstützung und ein Forum zum Austausch. Man erfährt, wie es anderen damit geht, kann Betroffene in der Nähe finden und an Treffen, Ausflügen und Ferienfreizeiten teilnehmen.
Gemeinsam Lösungen finden
Unterstützung und hilfreiche Informationen rund um den Diabetes bei Kindern und Jugendlichen gibt es auch von DiaExpert. In den Fachgeschäften können sich Eltern verschiedene Lösungen aufzeigen lassen, Produkte, die den Alltag mit Typ 1 leichter machen, anfassen und sich zum Beispiel die Funktionsweisen von Sensoren und Pumpen ausführlich erklären lassen. Und wenn im Laufe der Zeit weitere Fragen auftreten, bieten unsere geschulten Ansprechpartner, die übrigens oft aus eigener Erfahrung sprechen, auch am Telefon und vor Ort kompetente Hilfe an.
Mehr Unterstützung in Kitas und Schulen
Wie wichtig es für die Eltern und insbesondere Mütter ist, ihr Kind gut versorgt zu wissen, und was viele bereit sind, dafür zu investieren, hat die AMBA-Studie deutlich gemacht: 39 Prozent der Befragten, so die Studienleiterin Dr. Andrea Dehn-
Hindenburg, reduzierten ihre Arbeitszeit; zehn Prozent gäben ihre Berufstätigkeit sogar ganz auf, um in der Nähe des Kindes zu sein.
Mehr Unterstützung wünschen sich viele Eltern daher auch von Kita und Schule. Vielerorts übernehmen Erzieher und Lehrer immer noch zögerlich die Verantwortung für ein zuckerkrankes Kind, Schulungen werden zu selten in Anspruch genommen. Vielen Eltern bleibt so nur die Möglichkeit, auf einen Platz in einem Inklusionskindergarten zu warten und statt der Regelschule eine Förderschule zu wählen. Vor diesem Hintergrund ist das Projekt „Die Zuckerschnecken“ entstanden: Unter dem Dach von „Die Pflegeexperten“ und dem Kooperationspartner „WuKis“ werden Kinder von 0 bis 14 Jahren betreut und versorgt. Die bundesweit erste Kindertagespflege mit spezieller Betreuung für Kinder mit Diabetes befindet sich in Hameln und bietet flexible, bedarfsorientierte und familiennahe Betreuung an. Ziel ist es, berufstätige Eltern zu entlasten und Kindern mit Diabetes den richtigen Umgang mit Diabetes ab dem ersten Tag beizubringen. Ein Projekt, das hoffentlich Schule machen wird.
Was bedeutet AMBA?
AMBA steht für „Alltagsbelastungen der Mütter von Kindern mit Typ-1-Diabetes: Auswirkungen auf Berufstätigkeit und Bedarf an Unterstützungsleistungen im Alltag“ und ist eine anonyme Querschnittsbefragung, die 2018 analog zur
ersten Befragung von 2004 durchgeführt wurde. Nach der Veröffentlichung der Studie ist die Hoffnung groß, dass Maßnahmen folgen, die dabei helfen können, die Belastungen zu reduzieren: von einer niederschwelligen psychologischen Unterstützung über umfassende Beratungsmöglichkeiten durch Diabetesberater und Sozialarbeiter bis hin zu einer unkomplizierten Aufnahme und qualifizierten Versorgung von Kindern mit Diabetes in Kitas und Schulen.