Green Diabetes – der ökologische Fußabdruck in der Diabetes-Therapie
Nachhaltiges Handeln, Umwelt und Klimaschutz gewinnen zunehmend an Bedeutung. Auch die Vermeidung von Müll gehört dazu; das Trennen von Wertstoffen und der sparsame Umgang mit Rohstoffen. Doch das ist manchmal leichter gesagt als getan. Insbesondere wenn man auf Diabeteszubehör angewiesen ist.
Der persönliche ökologische Fußabdruck gehört zu jenen Dingen des Alltags, mit denen sich ein jeder für sich beschäftigen muss. Mit Konsequenzen, die manchmal unbequem sind. Dieser Beitrag will aber nicht moralisieren, niemand soll ein schlechtes Gewissen haben, weil er seinen Diabetes mit Medizinprodukten managt, die sich nicht immer in den Wertstoffkreislauf zurückführen lassen.
Hygienisch oder nachhaltig?
Der Fortschritt in der Medizin-Technologie ist mit vielen Vorteilen für den Diabetes- Alltag verbunden. Niemand möchte zurück in eine Zeit, in der Diabeteszubehör ausgekocht werden musste. Und: Die hygienische Verpackung von Medizinprodukten oder die Notwendigkeit, Pen-Nadeln nicht mehrfach zu verwenden, sind unvermeidbar.
Bewusstsein für den ökologischen Fußabdruck
Im Juli 2021 fand mit dem Green Diabetes Summit die erste virtuelle Konferenz zum Thema Müll im Bereich der Diabetes-Technologie statt. Vertreter aus der Ärzteschaft und von Patienten- und Verwaltungsorganisationen trafen sich mit Müllentsorgungsspezialisten und Herstellern aus den USA und Europa, um Aspekte wie Nachhaltigkeit und Müll Management von Medizinprodukten aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Und um auszuloten, wie gemeinsam an Lösungen für die anstehenden Probleme gearbeitet werden kann, wenn es um Design, Nutzung und adäquate Entsorgung geht. Die Betonung liegt auf „gemeinsam“. Denn um den ökologischen Fußabdruck in der Diabetestherapie möglichst klein zu halten, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen: Hersteller, Ärzte und Diabetesteams sowie Patienten.
In der diabetologischen Praxis
Für Dr. Vera Dajani stehen zwar die medizinischen Aspekte des Diabetes eindeutig im Vordergrund, aber auch in der diabetologischen Gemeinschaftspraxis in Erfurt wird auf Nachhaltigkeit Wert gelegt. „Wir trennen unseren Müll und achten streng darauf, beim Verlassen der Praxis alle Standby-Geräte abzuschalten.“
Eine Idee für die Zukunft sei es, die Teamkleidung von regionalen und nachhaltig produzierenden Textilherstellern zu beziehen. Ressourcensparend ist Dr. Dajani zufolge auch die Videosprechstunde. Generell seien die Fragen, wie komme ich von A nach B‘ und ‚muss ich dort wirklich hin‘ eine gute Option, über den eigenen ökologischen Fußabdruck nachzudenken. „Es geht auch darum das Auto häufiger mal stehen zu lassen.“
Ein weiterer Aspekt, den Dr. Dajani mit Patient*innen diskutiert, ist die Notwendigkeit einer neuen Insulinpumpe. „Ich kann verstehen, dass man von den neuen Features profitieren möchte. Aber eine Insulinpumpe, die noch gut funktioniert und mit der man gut eingestellt ist, muss aus meiner Sicht nicht unbedingt nach vier Jahren ersetzt werden.“ Viele Patient*innen seien sehr sensibel, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit gehe, erzählt die Diabetologin. „Ich habe z.B. eine junge Patientin, die ständig ein schlechtes Gewissen hat, weil sie soviel Müll produzieren muss. Aber ich kann ihr ja nicht empfehlen, keine Insulinpumpe mehr zu nutzen oder den Katheter einfach länger drin zu lassen!“
Tatsächlich, sagt Dr. Dajani, sei es in vielen medizinischen Bereichen aus Gründen der Hygiene überaus schwierig – ja teilweise gar nicht möglich – nachhaltig zu handeln. Doch natürlich gebe es noch Luft nach oben, um Müll zu reduzieren, so die Ärztin. Die Vertreter der Hersteller seien alle durchweg offen und sehr bemüht um Lösungen.
Luft nach oben
Die unterschiedlichen Materialien in einer Insulinpumpe oder einem Pen, CGM oder Blutzuckermesssystem lassen sich meist weder voneinander trennen noch ist immer ganz klar, in welchen Müll diese gehören. Dasselbe gilt für oft aufwändige Verpackungen. Genau hier setzen viele Hersteller nun an. War es bislang eher so, dass ein hochwertiges Medizinprodukt auch eine hochwertige Verpackung brauchte, nehmen viele Unternehmen davon Abschied. Branchenübergreifend gibt es neue Ideen für stabile und wieder verwendbare Transportverpackungen. Die aktuelle Medical Device Directive (MDD) der EU macht hierzu klare Vorgaben: „Produkte werden so designt und hergestellt, dass ihre sichere Entsorgung und die der damit verbundenen Abfallstoffe durch Anwendende, Patient*innen oder andere Personen, erleichtert wird. Zu diesem Zweck sollen die Hersteller Verfahren und Maßnahmen ermitteln und erproben, mit denen ihre Produkte nach der Verwendung sicher entsorgt werden können. Diese Verfahren sind in der Gebrauchsanweisung zu beschreiben“, heißt es dort.
Bei den Herstellern
Was tun einzelne Hersteller im Diabetesbereich konkret? Wie begegnen sie dem Thema aktuell und in Zukunft? Wir haben nachgefragt:
Ypsomed
Zum Thema Recycling und Abfall heißt es: Produktverantwortung und Kreislaufwirtschaft werden großgeschrieben: Sowohl bei den anfallenden Betriebsabfällen als auch was den Lebenszyklus der Produkte betrifft. „Wir versuchen, Abfälle und Ausschuss zu minimieren und den Anteil recycelter Abfälle stetig zu erhöhen.“ Im Jahr 2021 seien – im Vergleich zum Vorjahr – 40 Tonnen Kunststoff zusätzlich recycelt worden. Darüber hinaus habe man zusammen mit einem Recyclingpartner ein internationales Rücknahme- und Recyclingsystem für die mylife YpsoPump realisiert.
Den größten Hebel, so Sabine Huber, die für den Bereich Nachhaltigkeit im Unternehmen zuständig ist, habe man beim Einkauf von Roh- und Verpackungsmaterialien. Hier müssten Optimierungen, gemeinsam mit den Lieferanten, umgesetzt werden. „In Bezug auf die „zirkuläre Wertschöpfung“ haben wir vor gut drei Jahren erste Tests mit alternativen Kunststoffen für unsere Kunststoffgehäuse gestartet. Ypsomed will Produktdesigns vorantreiben, die auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft basieren und die Auswirkungen der Selbstmedikation von flüssigen Medikamenten durch Pen- Systeme auf die Umwelt, entlang der gesamten Wertschöpfungskette, auf ein Minimum reduzieren.“ Jüngstes Beispiel für den Erfolg des Ypsomed Ecodesign Prozesses‘ ist der YpsoMate On, der das einfache Recycling elektronischer Komponenten ermöglicht. (Elektronik und Batterie können nach der Verwendung einfach vom Rest des Gerätes getrennt und recycelt werden.)
Weitere Fortschritte konnten im Bereich der Verpackungen erzielt werden: So ließen sich die CO2-Emissionen pro Transport-Gebinde für die YpsoMate-Plattform um 40 Prozent reduzieren. Es besteht aus Recycling-PET, und soll demnächst als wieder verwendbares Gebinde zur Verfügung stehen.
IME-DC
IME-DC (International Medical Equipment – Diabetes Care) hat in den letzten zwei Jahren ebenfalls erste Änderungen beim Verpackungsmaterial vorgenommen. Durch den Verzicht auf die Folienbeschichtung, die das Ausbleichen von Farben verhindert, lassen sich die Verpackungen besser recyceln. Generell will man in diesem Bereich zukünftig neue Wege gehen. „Für einige Produkte setzen wir sowohl bei den Verpackungen als auch bei den Versandkartons auf recyceltes Papier“, sagt Marketingleiter Phillip Wolf. Darüber hinaus findet bereits jetzt die Produktion vieler Produkte in Europa statt. Die logistischen Transportwege werden verkürzt (im Vergleich zu Warenlieferungen aus Asien) und damit der CO2 Ausstoß durch Schiff, Flugzeug oder LKW enorm gesenkt.
Roche Diabetes Care
Roche Diabetes Care hat durch die Überarbeitung der Verpackungskonzepte das Verpackungsvolumen für bestimmte Produkte um 90 Prozent verringern können. Das verwendete Verpackungsmaterial kann zu 100 Prozent wiederverwertet werden und auch die Papiermenge wurde für verschiedene Verpackungen erheblich reduziert. Darüber hinaus achtet das Unternehmen inzwischen darauf, nicht überdimensioniert zu verpacken. „Wir wollen einen CO2-Footprint, der zu den ehrgeizigen Nachhaltigkeitszielen von Roche passt”, so James Fischer, Geschäftsführer der Roche Diabetes Care Deutschland GmbH.
Medtronic
Auch bei Medtronic lässt sich ein Großteil der Produktverpackungen inzwischen recyceln. Eine weitere Möglichkeit, um die Gesamtumweltbelastung zu reduzieren, ist die Entwicklung von Produkten mit längerer Lebensdauer, und auch Produkt-Upgrades tragen zur Müllreduktion bei. Die neueste Pumpen Generation (MiniMed 700-Serie) ist für künftige Software-Upgrades vorbereitet, sodass ein physischer Austausch für neue Funktionen nicht mehr nötig ist. Die Verknüpfung von Hard- und Software im Diabetesmanagement, ist auch bei Roche von Bedeutung: „Nur wenn intelligente Software, etwa in Form von Algorithmen, zu einer besseren Steuerung von Hardware wie Insulinpumpen beiträgt, können Patienten ihren Diabetes besser managen und damit mehr Zeit im Zielbereich verbringen. Software kann viel bewirken, zum Beispiel die Häufigkeit von Blutzuckertests reduzieren, und so zu mehr Nachhaltigkeit beitragen”, sagt James Fischer.
Erneuerbare Energien
Alle Hersteller nutzen erneuerbare Energien. Bei IME-DC laufen Planungen für die Installation von Photovoltaikanlagen, um keine fossilen Brennstoffe wie Gas oder Öl mehr zu verbrauchen. Die gewonnenen Strommengen sollen danach auch
für E-Ladesäulen am Firmenstandort genutzt werden. Damit wäre der sukzessive Umstieg der Fahrzeugflotte auf Hybrid- oder reine Elektrofahrzeuge möglich. Am Roche-Standort Mannheim nutzt man zu 100 Prozent Ökostrom – auch in vielen Herstellungsprozessen. Bis 2025 sollen mehr als 80 Prozent des anfallenden Abfalls recycelt und die allgemeine
Abfallmenge um 10 Prozent reduziert werden. Bis 2029 soll die Umweltbelastung durch Produkte um 50 Prozent reduziert werden. Medtronic hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt im globalen Betrieb bis 2030 CO2-neutral zu werden und bis 2045 im gesamten Unternehmen und der Wertschöpfungskette das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Hierfür soll der Energieverbrauch gesenkt und die Nutzung sauberer Energie durch erneuerbare und alternative Erzeugung vor Ort gesteigert werden.
Ypsomed trägt seit 2017 das Label „Energie-und CO2-reduziert” der Energieagentur der Wirtschaft (EnAW), mit der man sich zu verbindlichen Energie- und CO2- Zielen verpflichtet. Anfang 2020 wurde YpsoMate Zero, und damit der weltweit erste CO2-neutrale Autoinjektor, lanciert. Damit sollen Verbesserungen entlang der gesamten Lieferkette umgesetzt werden, ohne Abstriche bei der Benutzerfreundlichkeit und Patientensicherheit zu machen.
Patientensicherheit
ist das oberste Gebot
Die Standards in der Medizintechnik in Bezug auf Qualität, Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit sind hoch. Angesichts dieser Produktanforderungen bleibt die Förderung der Kreislaufwirtschaft herausfordernd.
WAS KÖNNEN WIR ALLE TUN?
Jede*r Einzelne kann sich grundsätzlich bei jedem Schritt fragen, ob es eine gleichwertige, aber umweltschonende Alternative gibt. Außerdem können wir alle:
- Kartons und Umverpackungen aus Pappe im Altpapier entsorgen.
- uns beim lokalen Entsorgungsunternehmen erkundigen, wie Glukosesensoren mit eingebauten Batterien korrekt entsorgt werden.
- Beim Hersteller nachfragen, welche Recyclingoptionen es gibt.
- Diabetesmüll, der mit Körperflüssigkeiten in Kontakt war und deshalb potenziell infektiös ist, sicher einpacken und im Hausmüll entsorgen.
- spitze Gegenstände, an denen man sich verletzen kann (Pennadeln, Kanülen etc.), in einem Kanülenbehälter sammeln, der bei DiaExpert erhältlich ist.
- Medikamentenreste niemals in der Toilette entsorgen.
Sie haben eine gute Idee, wie man erfolgreich Müll und CO2 einsparen kann? Schreiben Sie uns an feelfree@diaexpert.de!