Diabetes und Sexualität
Diabetes und Sexualität ist ein Thema mit vielen Facetten. Zum einen sind dies sexuelle Störungen – ein Tabuthema, das die Partnerschaft belasten kann und trotzdem häufig nicht zur Sprache kommt, obwohl es heute vielfältige Möglichkeiten der Diagnose und Behandlung gibt. Zum anderen das wichtige Thema der Verhütung. Mehr dazu erfahren Sie in diesem Beitrag.
Ein selten zur Sprache gebrachtes Thema
Sexualstörungen sind zwar keine eigenständige Folgeerkrankung des Diabetes, treten aber häufig im Zusammenhang mit dieser Erkrankung auf. Schätzungsweise jeder zweite Mann und jede vierte Frau mit Diabetes sind im Laufe der Erkrankung davon betroffen – abhängig von der Diabetesdauer, der Blutzuckereinstellung und Begleiterkrankungen. Einige Risikofaktoren betreffen beide Geschlechter gleichermaßen:
- Dauerhaft zu hohe bzw. stark schwankende Blutzuckerwerte können die kleinen und großen Blutgefäße sowie die Nerven schädigen, die bei Erregung und Orgasmus eine Rolle spielen.
- Lebensstil-Faktoren wie Rauchen, mangelnde Bewegung und Alkoholgenuss wirken sich negativ auf den ganzen Körper aus – auch auf die Sexualität.
- Medikamente, zum Beispiel Schmerzmittel sowie Medikamente zur Senkung des Blutdrucks und zur Behandlung einer Depression, können als Nebenwirkung eine Sexualstörung hervorrufen.
Jeder zweite Mann und jede vierte Frau mit Diabetes sind schätzungsweise von Sexualstörungen betroffen. Wenn Sexualstörungen als Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden werden, sollte man sie nicht einfach hinnehmen. Mit dem Arzt darüber zu sprechen ist der erste Schritt zur Lösung des Problems.
Sexualstörungen bei Männern
Die mit Abstand häufigste Form der Sexualstörung bei Männern äußert sich darin, dass über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten keine oder keine ausreichende Erektion für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu Stande kommt (erektile Dysfunktion – auch „Potenzstörung“ genannt). Weitere, seltenere Formen betreffen Ejakulationsstörungen, also ein vorzeitiger, verzögerter, abgeschwächter oder fehlender Samenerguss. Erregungs- und Orgasmusstörungen spielen bei Männern eine geringere Rolle.
Die erektile Dysfunktion
(mangelnde Erektionsfähigkeit)
Die Erektion des Penis basiert auf einem koordinierten Zusammenspiel zwischen Nerven sowie arteriellen und venösen Blutgefäßen. Das Gehirn sendet Nervenimpulse an den Penis, damit sich die Arterien weiten und die Schwellkörper mit Blut füllen. Gleichzeitig verengen sich die Venen, um einen Blutabfluss zu verhindern. Betrachtet man das komplizierte Zusammenspiel zwischen Nerven und Gefäßen bei einer Erektion, wird deutlich, warum Männer mit Diabetes häufiger von einer erektilen Dysfunktion betroffen sind als Nicht-Diabetiker: Bei ihnen können Gefäße und Nerven als Folge zu hoher bzw. stark schwankender Blutzuckerwerte geschädigt sein. Wenn Ablagerungen in den Gefäßen die Blutzufuhr in den Penis beeinträchtigen, kann keine ausreichende Erektion erfolgen. Gleiches gilt bei einer Erkrankung der Nerven: hier ist die Impulsübertragung vom Gehirn an die Muskulatur des Penis gestört.
- In ca. 70 Prozent der Fälle ist die erektile Dysfunktion organisch bedingt, etwa 30 Prozent gehen auf psychische Ursachen zurück (F. Merfort: Sexualstörungen bei Diabetes mellitus. Der Diabetologe Nr. 5/2010, S. 394).
- Organisch liegt meist eine Schädigung der kleinen und großen Blutgefäße (Mikro- bzw. Makroangiopathie) zu Grunde.
- Eine weitere Ursache, die vor allem Menschen mit Typ-2-Diabetes betrifft, ist eine Erkrankung der Nerven (diabetische Polyneuropathie bzw. autonome Neuropathie).
- Die Kombination aus hohen Blutzuckerwerten und Risikofaktoren wie Rauchen sowie die Diabetesdauer und das Alter erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine erektile Dysfunktion. Vor allem Typ-2-Diabetiker sind davon betroffen.
Häufige weitere Erkrankungen
„Der Penis ist die Wünschelrute des Gefäßsystems“, sagen Urologen. Tatsächlich zeigen sich Gefäßschädigungen hier sehr früh. So kann eine erektile Dysfunktion frühzeitig auf eine koronare Herzerkrankung und/ oder eine diabetische Neuropathie hinweisen. Nicht selten kommen hohe Blutfett- und Blutdruckwerte dazu. Bei einer mangelnden Erektionsfähigkeit sollten deshalb begleitende medizinische Untersuchungen durch den Hausarzt bzw. Diabetologen erfolgen.
„Männerdiagnostik“ – (k)ein Tabuthema
Erster Ansprechpartner für Menschen mit Diabetes ist in den meisten Fällen der Hausarzt bzw. Diabetologe. Auch ein Urologe, der in der Regel für die weitere Diagnostik zuständig ist, kann Ansprechpartner sein.
- Zur Basisdiagnostik durch den Hausarzt/Diabetologen gehört eine Untersuchung auf organische Ursachen der Sexualstörung, wie das Vorliegen einer Gefäßschädigung oder einer Neuropathie. Hier werden auch die Stoffwechsellage und Lebensstil-Risikofaktoren besprochen. Gerade bei Diabetikern kommt es häufig zu einem Hormonmangel, weshalb die Messung des Testosteronspiegels im Blut sinnvoll ist.
- Ob Sie unter einer erektilen Dysfunktion leiden, kann mit Hilfe international standardisierter Fragebögen („International Index of Erectile Function“ bzw. „Sexual Health Inventory for Men“) festgestellt werden, die auch in deutscher Sprache vorliegen. Einen interaktiven Fragebogen zum Selbsttest bietet die Internetseite www.isg-info.de. Dieser Fragebogen ersetzt nicht den Arztbesuch!
- Weitere Diagnosemethoden sind zum Beispiel der Schwellkörperinjektionstest zur Messung der Erektionsfähigkeit sowie Ultraschalluntersuchungen.
So werden Sexualstörungen behandelt
Bei der Behandlung steht die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung an erster Stelle, verbunden mit einer Veränderung des Lebensstils: Mehr Bewegung, Reduzierung von Übergewicht, Verzicht auf Rauchen. Lässt sich damit kein zufrieden stellendes Ergebnis erreichen, kann der Arzt Medikamente verordnen oder alternative Möglichkeiten anbieten. Die meisten Patienten bevorzugen heute Medikamente, die eine Erektion ermöglichen bzw. aufrecht erhalten und verstärken (PDE-5-Hemmer). Sie werden bei Bedarf eingenommen und wirken kurzfristig über einen Zeitraum von 3 bis 6 Stunden oder langanhaltend bis 36 Stunden, was die Flexibilität erhöht. Es gibt auch Medikamente, die täglich in einer niedrigen Dosis eingenommen werden, wodurch eine kontinuierliche Wirkung und damit sexuelle Aktivität ohne Planung ermöglicht wird. Insgesamt sind diese Medikamente gut verträglich. Voraussetzung für die Verordnung ist eine eingehende Untersuchung durch den Arzt. Eine weitere, kurz und ohne sexuelle Stimulation wirksame Möglichkeit ist die Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT). Hier spritzt der Anwender – nach vorheriger Schulung durch einen Arzt – ein Medikament (Wirkstoff Alpro-stadil) mit Hilfe einer Spritze oder eines Pens direkt in den Schwellkörper des Penis. Das gleiche Medikament kann auch in Form eines Zäpfchens mit Hilfe eines Applikators in die Harnröhre geschoben werden (MUSE). Die Wirksamkeit ist hier allerdings schlechter als bei der Injektion. Die Kosten für die Medikamente, also Tabletten, Lösung und Zäpfchen, werden nicht von den Krankenkassen übernommen. Anders bei der Vakuumpumpe. Hier übernehmen die Krankenkassen die Kosten ganz oder teilweise. Die Pumpe besteht aus einem Plexiglaszylinder, der einen Unterdruck und damit eine Erektion erzeugt. Um diese aufrecht zu erhalten, wird ein Gummiring über das untere Ende des Penis gezogen.
Sexualstörungen bei Frauen
Sexualstörungen bei Frauen sind wenig erforscht. Anders als bei Männern sind die Störungen bei ihnen weniger offensichtlich, und Frauen sprechen sehr ungern darüber. Schätzungsweise jede vierte Frau mit Diabetes ist betroffen. Im Prinzip funktioniert die weibliche Erregung ähnlich wie die des Mannes: durch ein Zusammenspiel zwischen Blutgefäßen und Nerven. Das Gehirn sendet Nervenimpulse an die Scheide, die zu einer verbesserten Durchblutung mit Anschwellen der Schamlippen und Klitoris führen. Gleichzeitig wird die Scheide feucht – eine wichtige Voraussetzung für den Geschlechtsverkehr. Von der Funktion der Nerven in der Scheide hängt ebenfalls die Orgasmusfähigkeit ab. Wenn durch den Diabetes Gefäße und Nerven geschädigt sind, kann dieser Erregungsprozess gestört sein. Hohe Blutzuckerwerte wirken sich ebenfalls negativ auf die weibliche Sexualität aus.
Organische und psychische Ursachen
Frauen mit Diabetes berichten vor allem über folgende Störungen:
- Eine Trockenheit der Scheide (Lubrikationsstörung)
- Schmerzen beim bzw. nach dem Geschlechtsverkehr
- Ein vermindertes sexuelles Verlangen (Libidoverlust)
- Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erreichen
- Häufigere Infektionen im Genitalbereich und an den Harnwegen
Während die Trockenheit der Scheide und die Infektionen besonders durch hohe Blutzuckerwerte begünstigt werden, hat das fehlende sexuelle Verlangen eher psychische Ursachen. Frauen mit Diabetes leiden häufiger als Männer unter Depressionen – und haben allein deshalb keine „Lust auf Sex“. Medikamente gegen Depressionen wirken sich auf das sexuelle Verlangen aus. Hinzu kommt der Hormonmangel in den Wechseljahren, der zu einer verringerten sexuellen Lust führen kann.
Diagnose und Behandlung
Hausarzt, Diabetologe und Gynäkologe sind für Frauen mit Diabetes die richtigen Ansprechpartner, wenn es um die Diagnose und Behandlung von Sexualstörungen geht. Ob Sie unter einer sexuellen Störung leiden, kann mit Hilfe eines international standardisierten Fragebogens („Female Sexual Function Index“) festgestellt werden, der auch in deutscher Sprache zur Verfügung steht. Einen interaktiven Fragebogen zum Selbsttest bietet die Internetseite www.isg-info.de. Dieser Fragebogen ersetzt nicht den Arztbesuch! Zur Basisdiagnostik durch den Hausarzt/Diabetologen gehört eine Untersuchung auf organische Ursachen der Sexualstörung, wie das Vorliegen einer Gefäßschädigung oder einer Neuropathie. Bei der Behandlung stehen die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung und die Behandlung von Infektionen an erster Stelle. Oft helfen östrogenhaltige Salben oder Zäpfchen zur vaginalen Anwendung. Damit lassen sich Probleme wie die Trockenheit der Scheide und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr häufig bereits in den Griff bekommen. Gegen die Trockenheit helfen auch hormonfreie Gleitgels, die einfach angewendet werden können.
Wichtig ist es, vertrauensvoll über die Probleme zu sprechen: mit dem Arzt, dem Partner und bei depressiven Stimmungen eventuell mit einem Therapeuten. Ein Verzeichnis von Therapeuten, die in der Behandlung von Menschen mit Diabetes erfahren sind, finden Sie unter www.diabetes-psychologie.de. Sexualstörungen
Vertrauensvolle Partnerschaft
Wenn es mit dem Sex nicht klappt, kann das eine Partnerschaft sehr belasten. Umso wichtiger ist es, darüber zu sprechen und den Partner bei der Behandlung der Sexualstörungen mit einzubeziehen. Welche Methode bei einer erektilen Dysfunktion zum Einsatz kommt – ob Tabletten oder eine alternative Methode – hängt schließlich von der Akzeptanz beider Partner ab. So ist die Vakuumpumpe besser als ihr Ruf, berichten Paare, die sie ausprobiert haben. Die für Sie richtige Methode finden Sie gemeinsam mit einem Urologen, der Sie zu den verschiedenen Möglichkeiten ausführlich beraten kann. Wenn ein vermindertes sexuelles Verlangen die Partnerschaft belastet, kann eine Paartherapie oder ein Gespräch mit einem Therapeuten helfen.
Die Frage der Verhütung
Verhütung sollte Partnersache sein. Bei den meisten Verhütungsmethoden ist allerdings nach wie vor die Frau gefragt. Die sicherste Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu verhindern, ist die „Pille“ bzw. vergleichbare Verhütungsmethoden, die über die Gabe von Östrogen und Gestagen funktionieren. Hier wird der Eisprung unterdrückt, so dass keine Schwangerschaft entstehen kann. Die Hormone können heute in Form von Tabletten (Mini- bzw. Mikropille), Depot Pflastern sowie -Spritzen oder in Form eines Rings in der Scheide (Nuva-Ring) eingesetzt werden. Alle Methoden sind für Frauen mit Diabetes ebenso geeignet wie für andere Frauen, zumal es heute Präparate mit niedriger Hormondosierung gibt. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sich beim Einsatz von Hormonpräparaten das Risiko für Gefäßschäden und Thrombosen erhöht, das bei Frauen mit Diabetes ohnehin schon gegeben ist. Vor allem wenn bereits Folgeerkrankungen vorliegen, sollte die Verhütung mit Hormonen gemeinsam mit dem Hausarzt/Diabetologen besprochen und abgewogen werden. Die Spirale, welche in die Gebärmutter eingesetzt wird und dort ca. fünf Jahre mit relativ hoher Sicherheit eine Schwangerschaft verhindert, kann auch bei Frauen mit Diabetes problemlos zum Einsatz kommen. Weil sie das Risiko einer Unfruchtbarkeit erhöht, wird sie meist nach abgeschlossener Familienplanung empfohlen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe natürlicher Planungsmethoden zur Verhütung, wie die Temperatur- oder Hormonbestimmung. Sie kommen für Frauen mit Diabetes weniger in Frage, weil sie – abhängig von Stoffwechseleinstellung und Alter – eher einen schwankenden Menstruationszyklus haben. Weniger sicher als die Verhütung über Hormone, aber immer noch eine relativ sichere und fast immer „nebenwirkungsfreie“ Alternative sind Kondome. Die sicherste Form der Verhütung bei abgeschlossener Familienplanung, wenn keine Kinder mehr gewünscht sind, ist die Sterilisation des Mannes (Vasektomie), bei der der Urologe mit einem kleinen ambulanten Eingriff die Samenleiter unterbindet.
Kinderwunsch und Schwangerschaft
Im Fall eines Kinderwunsches sollten Sie vor der geplanten Schwangerschaft gemeinsam mit Ihrem Arzt Ihre Stoffwechseleinstellung optimieren – für einen guten Start Ihres Kindes in das Leben. In diesem Beitrag finden sie Informationen zum Thema Diabetes und Schwangerschaft.