Kritisches Doppel – Diabetes und Depression
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und Menschen mit Diabetes haben ein ungleich höheres Risiko. Das ist insofern ungünstig, als dass sich Betroffene schnell in einem Teufelskreis wiederfinden, in dem die Depression nicht nur den Diabetes negativ beeinflusst.
Schwermut und Niedergeschlagenheit, Antriebs- und Lustlosigkeit – das sind menschliche Gefühle, die jeder kennt. Was, wenn sie bleiben? Wann spricht man von Depressionen? Warum sind diese so weit verbreitet, was hat das alles mit Diabetes zu tun und warum ist es gerade bei Diabetes so wichtig, darüber zu sprechen? Alles, was dazu beiträgt, dieses Thema weiter in den Fokus zu rücken, ist Professor Bernhard Kulzer zufolge gut und richtig. „Während die Prävalenz (1) für Depressionen bei Menschen ohne Diabetes etwa sechs Prozent beträgt, liegt sie bei Menschen mit Diabetes bei zehn bis 14 Prozent, ist also deutlich erhöht. Aus meiner Sicht müssten Depressionen als klassische Folgeerkrankung des Diabetes eingestuft werden und nicht als Begleiterkrankung.“ Es sei bekannt, so der Psychologe, der unter anderem am Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM GmbH) tätig ist, dass ein nicht geringer Anteil der psychischen Störungen eine Reaktion auf das Leben mit dem Diabetes darstellt. Genauer gesagt auf die diabetesbezogenen Stressoren und negativen Folgen, die ein Diabetes mit sich bringen kann. „Aus Untersuchungen (2) wissen wir, dass bei Menschen, bevor sie an Diabetes erkranken, die Depressionsrate nicht erhöht ist. Sie erhöht sich erst im weiteren Verlauf der Erkrankung, und tatsächlich steigt das Risiko für klinische Depressionen dann um 61 Prozent“, führt Kulzer aus.
Warum ist das so?
Der Alltag mit Diabetes ist anstrengend und kostet Energie. Bei dem einen Menschen mehr, bei dem anderen weniger. Kommen nun im Laufe eines Lebens weitere Erkrankungen oder aber auch andere Probleme, die nichts mit dem Diabetes zu tun haben, hinzu, kann es schnell passieren, dass der Diabetes zur Last wird – beziehungsweise dann erst als solche wahrgenommen wird. Eine tägliche Belastung, für die Energie aufgebracht werden muss. „Und manchmal hat man eben schlicht zu wenig davon, um alle Schwierigkeiten, die das Leben gerade mit sich bringt, zu bewältigen“, so Bernhard Kulzer. Ein Mensch mit Diabetes aber, der sich eine Weile nicht so um Blutzuckerwerte und Co. kümmern kann, wie es erforderlich wäre, spürt umgehend die Folgen. Schnell ist man in einem Teufelskreis, in dem die Depression den Diabetes verschlechtert und der zunehmend schlecht eingestellte Diabetes die Depression befeuert.
Risiko für die Gefäße
„Es gibt aber noch etwas, was Diabetologen und Diabetologinnen im Blick haben sollten“, sagt Prof. Bernhard Kulzer: „Depressionen verursachen einen permanenten chronischen Stress und bedingt dadurch kommt es zur Ausschüttung von Stresshormonen, die so sonst nur bei akuter Bedrohung stattfindet. Eine Depression ist eine Art ‚Dauerstressor‘, der bei Schlafstörungen, welche bei Depressionen häufig vorkommen, auch nachts und damit rund um die Uhr wirkt. Die Stresshormone wiederum können Entzündungsprozesse an den Gefäßen in Gang setzen, welche nachweislich Einfluss auf die Entstehung einer Atherosklerose (siehe rechts) haben. Die Entzündungen schädigen die Gefäßwände und die Depressionen wirken wie ein Brandbeschleuniger.“ Letztlich leiden die Betroffenen dann nicht nur unter ihrer Schwermut und zunehmend negativen Gedanken, sie können sich auch weniger gut um den Diabetes kümmern und erhöhen ihr Risiko für Gefäßerkrankungen.
Die gute Nachricht ist: Depressionen sind heilbar!
Etwa 90 Prozent sind entweder mit Psychotherapie und/oder Psychopharmaka innerhalb eines halben Jahres in den Griff zu bekommen. Sofern sie erkannt werden. Das aber ist Bernhard Kulzer zufolge bei etwa 50 Prozent nicht der Fall. Vielmehr würden sie oft hinter körperlichen Problemen versteckt: „Die Patienten und Patientinnen sprechen dann eher von Schmerzen, mangelnder Energie oder Schlafstörungen und der Arzt muss diese versteckten Hinweise dechiffrieren.“ Dabei sei es gar nicht so schwer, eine Depression zu diagnostizieren, so der Fach-Psychologe. Hierfür gebe es den sogenannten „WHO-5-Fragebogen“, der zum Beispiel im Gesundheits-Pass Diabetes zu finden ist und von Menschen mit Diabetes einmal jährlich ausgefüllt werden sollte.
Ein weiteres und leider sehr ernsthaftes Problem ist der Mangel an Psychotherapieplätzen und insbesondere an Therapeuten und Therapeutinnen, die sich mit Diabetes auskennen. Mitunter müssen Betroffene mehr als sechs bis zwölf Monate auf einen Platz warten. Hier bieten sich zur Überbrückung Apps an und Prof. Kulzer sieht zum Beispiel die DiGA HelloBetter durchaus als wertvolle Unterstützung. Jedenfalls, um akut einen besseren Umgang mit den Depressionen zu finden und eine verhaltenstherapeutische Begleitung zu erhalten. Um das Thema Diabetes und Depressionen allerdings langfristig erfolgreich in den Griff zu bekommen, sei es wesentlich, die diabetesbezogenen Belastungen anzugehen. „Mit den zunehmenden Möglichkeiten, die beispielsweise die AID-Systeme mit sich bringen, sind wir bereits auf dem richtigen Weg. Solche Systeme können die Menschen entlasten, indem sie dazu beitragen, dass man sich eben nicht den ganzen Tag um seinen Diabetes kümmern muss, sondern das System einfach mal machen lässt“, so Kulzer, der sich im Bereich neue Technologien seit jeher engagiert.
Von Anfang an an die psychische Gesundheit denken
Ein besonders wichtiges Anliegen ist Bernhard Kulzer, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes gesund aufwachsen. „Und damit meine ich nicht nur die Kontrolle von Blutzuckerwerten, sondern ausdrücklich die psychische Gesundheit. Wir machen dazu beispielsweise ein Eltern-Training, in dem es um den besseren Umgang mit dem Diabetes innerhalb der Familie geht, aber auch viel um Resilienz und eine stabile Psyche. Eltern müssen zum Beispiel lernen, loszulassen und ihrem Kind zu vertrauen, damit es eigene Erfahrungen machen kann und psychisch gesund aufwächst. Nur so können langfristig psychische Probleme, die mit dem Diabetes zusammenhängen, vermieden werden. Auch das Thema Pubertät müsse hier Beachtung finden, denn in dieser Zeit erleben Jugendliche sowohl körperliche als auch seelische Veränderungen. Sie hadern eher mit dem Diabetes und der erforderlichen Therapie und haben im Vergleich zu Gleichaltrigen ein höheres Risiko für Depressionen.“
Diabetes und Psychologie
Auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie, DDG „Diabetes und Psychologie e.V.“ finden Interessierte weitere Informationen, Termine zu Veranstaltungen und eine Liste mit Psychotherapeuten und -therapeutinnen, die über eine Zusatzausbildung Diabetes verfügen: www.diabetes-psychologie.de/home
(1) die Häufigkeit einer Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. in einem bestimmten Zeitraum in einer definierten Bevölkerungsgruppe
(2) Kulzer, B. Körperliche und psychische Folgeerkrankungen bei Diabetes mellitus. Bundesgesundheitsbl 65, 503–510 (2022). https://doi.org/10.1007/s00103-022-03517-y