Normal leben mit Typ-1-Diabetes
Dies ist ein Artikel unserer Gastautorin Katharina Weirauch. Katharina hat seit 2008 Typ-1-Diabetes.
Vor der eigenen Diabetes-Diagnose ging es den meisten von uns wahrscheinlich genauso wie den Menschen, die uns heute gegenüberstehen und sagen: „Ich könnte das ja nicht!“
Denn ganz ehrlich: So richtig vorstellen können – oder gar wollen – es sich die wenigsten, sich mehrmals am Tag selbst zu stechen. Vor der Diagnose konnte ich es auch nicht – und von wollen war erst recht nicht die Rede. Ab dem Moment, in dem ich das erste Mal einen Insulinpen in die Hand gedrückt bekam, hatte ich keine Wahl mehr. Was ich jetzt essen wollen würde, hatte die Diabetesberaterin gefragt und daraufhin die passenden Einheiten am Pen eingestellt und dann gefragt, ob ich Hilfe brauche – beim ersten Piks. Ich saß in einem großen Schulungsraum mit etwas Abstand an einem Tisch, den Pullover hochgezogen, sodass mein Bauch rausguckte und war der Meinung, das irgendwie hinzubekommen. Schließlich musste es ja sein. Letztendlich brauchte ich doch die Unterstützung der Diabetesberaterin, die nach einiger Zeit meine Hand nahm und mir half, die allererste Insulininjektion abzugeben. Ich war mir sicher, dass ich mich daran nie gewöhnen würde. Ich habe damals bestimmt nicht geglaubt, dass sich das einfach mal „normal“ anfühlen wird. Aber das tut es.
Diabetes als Lehrmeister
Wenn ich darüber nachdenke, macht mich das unheimlich stolz. Denn ich dachte, ich wäre nicht stark genug für diese Krankheit und die erforderliche Therapie. Ich habe mir nicht zugetraut, für mein Überleben sorgen zu können. Trotzdem habe ich es geschafft – mich durch verschiedene gute und schlechte Phasen gekämpft.
Ich hatte keine Wahl, weil mein Leben davon abhing. Mit dieser Begründung rede ich die „Ich könnte das ja nicht“-Aussage von Außenstehenden oft klein – ärgere mich sogar darüber. Aber was, wenn ich mir einfach mal erlaube, zu sehen, welche inneren Hürden ich überwunden habe und was ich täglich leiste? Nur weil es für mich zur Normalität geworden ist, heißt es nicht, dass es leicht ist oder war.
Sobald ich auf die Dinge schaue, die ich in den letzten 12 Jahren mit Typ-1-Diabetes gemeistert habe, kann ich kaum unzufrieden mit mir sein. Ich habe es geschafft, dass sich etwas „selbstverständlich“ anfühlt, das mir vorher völlig fremd war. Ich habe gelernt, mit einer chronischen Krankheit zu leben. Ich habe so vieles geschafft, was ich mir nicht zugetraut hätte.
Ich denke, das geht allen Menschen mit Diabetes so: Dieses ganze Messen, Rechnen, Insulin spritzen schien uns mal unmöglich. Und ohne einen genauen Zeitpunkt benennen zu können, an dem es passierte, gab es den Moment, an dem wir dieses neue Leben angenommen haben.
Zu denken, man könne etwas nicht, heißt nicht, dass man es nicht kann. Das ist das, was einem der Diabetes beibringt.
Katharina Weirauch